Skip to content
Lisa Seebach

Lisa Seebach I WE WOULD PROVIDE COMPLETE DARKNESS

10.06. – 16.07.2023 i Dienstag – Sonntag, 15 – 18 Uhr, Eintritt frei

  

WE WOULD PROVIDE COMPLETE DARKNESS

 

Schneide aus Glanzpapier etwa 1 cm breite Streifen.

Schneide aus den Streifen ungefähr 8 bis 10 cm lange kleine Streifen.

Klebe einen Streifen an den Enden zusammen, sodass ein Ring entsteht.

Füge auf diese Weise einen Ring um den nächsten.

Das kannst du endlos so weiter machen. [1]

 

Es hat sich etwas zugetragen. Party vorbei, Auto verschrottet, Ehe geschieden. Schwer zu sagen, wie lange es her ist. Gut möglich, dass längst neue Feste gefeiert, Karren gefahren, Menschen geliebt wurden.

 

Lisa Seebach inszeniert im Kunstverein Friedberg die Momentaufnahme einer fragmentierten Vorgeschichte. Ihre Skulpturen bergen Hinweise auf schicksalhafte Entscheidungsmomente: schlappe Wimpel, welke Blüten und ein paar Kügelchen traurige Gedanken. 

 

Auf einem stählernen Spinnennetz schweben ineinander verkeilt geschrumpfte Bühnen großer Verheißung. Irgendein Urlaubsfoto auf Instagram diente als Ausgangspunkt für drei herzförmige Plattformen aus Keramik. Das stählerne Original schien wie gemacht für den durchchoreografierten Heiratsantrag, bei Seebach hat sich ein palmenartiges Blattgewächs der Fantasie bemächtigt.

 

Da hängt sie also, die performative Romantik, gefangen in der Fressfalle, gehalten von kindlicher Erwartung in Form einer Bastelkette. Glanzfolienstreifen an Glanzfolienstreifen: ein tröstliches Ritual, die Ungeduld vor anstehenden Festlichkeiten dekorativ zu überbrücken. 

 

Indes ergießt die Sad Machine ihr unheilvolles Erzeugnis auf eine nachlässig bezogene Matratze. Das Refugium Bett erscheint als Brutstätte dunkler Vorahnungen. Einst müssen dort im schlaftrunkenen Wachzustand Bedenken und Zuversicht gerungen haben. Der abwesende Körper indiziert ein Aufgeben – oder ein Aufraffen.

 

„Deine Eltern lieben dich“, mahnt ein Schild vor dem Wald ungewisser Wiederkehr. Oder vielleicht hat Seebach das dazu gedichtet. Der Parkplatz am Aokigahara hält den Raum für die Spannung des uneindeutigen Moments. Frequentiert als Ausflugsziel, berüchtigt für tragische Todesfälle wird er zum Sinnbild undurchsichtiger Verstrickungen. 

 

Seebach verankert das ambivalente Gefühl in der Abformung einer Automatte. 2017 hatte sie darauf in New York wochenlang ihre Beifahrerinnenfüße platziert. Dem KfZ-Gerippe ausgeweidet, aufgehoben und ausgestellt wird das Objekt nun zur Brücke zwischen Erfahrung und Erzählung. Der Blumenkranz darauf ist unschuldiger Schmuck und fatale Schlinge zugleich.

 

Bilder, Orte und Ideen überlagern sich in Seebachs Arbeiten. So entsteht der Eindruck einer verschobenen Realität. Das Gitterfenster des Kunstvereins, das die Innen- von der Außenwelt trennt, hat Seebach in den Ausstellungsraum dupliziert. Dort wacht es als Träger der Vergangenheit über eine fragile Gegenwart.

 

We would provide complete darkness – der Titel der Ausstellung liest sich wie das Werbeversprechen eines Unternehmens, das die Attraktion der Ungewissheit zu kapitalisieren sucht. Die Dunkelheit lässt müde Augen rasten. Die Dunkelheit lässt Ängste gedeihen. Sie lockt mit dem Rückzug aus der Realität und birgt dabei die Gefahr des Realitätsverlusts.

 

Was lohnt es loszulassen? Wen lohnt es loszulassen? Wann lohnt es loszulassen? Seebach simuliert einen Aufbruch ohne Wiederkehr. Ihre Einladung zum Antesten impliziert ein Heilsversprechen. Ihre Einladung zum Antesten ist eine Warnung.

 

- Anna Meinecke –